Donnerstag, 31. Dezember 2009
Tatzenabdruck in Marzipan
Dann klingelte der Briefträger und drückte mir ein Paket vom Ohrenbär in die Hand. Der Ohrenbär kommt allabendlich mit seinen "Radiogeschichten für kleine Leute" aus dem Äther in meine Küche. In Berlin kam er jeweils um 19.20 Uhr. Der RBB schickt seine kleinen Leute rechtzeitig zu Bett. Der NDR ist gnädiger und sendet erst um 19.50 Uhr. Er organisiert auch jedes Jahr den "größten Adventskalender Norddeutschlands", das OHRENBÄR-ADVENTSKALENDER-RÄTSEL. Die kleinen Leute im Norden sammeln 23 Tage lang im Dezember Buchstaben. In diesem Jahr lautete die Rätselfrage: womit verziert der Ohrenbär alle Geschenke für seine Freunde? Die richtige Antwort: mit TATZENABDRUCK IN MARZIPAN.
Ich schickte sie an Weihnachten per mail an die Ohrenbär-Redaktion. Mit dem Zusatz, dass ich mir trotz meines Alters und Geschlechts nicht vorstellen könne, wie der Ohrenbär dies bewerkstellige. Der Ohrenbär hat mir diese alttantenhafte Bemerkung nicht übel genommen. Der Ohrenbär ist fair. Der Ohrenbär hat mich ausgewählt als Gewinnerin meiner Altersklasse. Der Briefträger brachte mir heute den Preis: "Laura und der Silberwolf" von Antonia Michaelis. Ein Buch, wie auf dem Buchdeckel zu lesen ist, das man bis zur letzten Zeile nicht mehr aus der Hand legen möchte.
Mittwoch, 30. Dezember 2009
A Travel Log 3
Emma Herwegh war wie ihr Mann eine Reisende und Schreibende. Wie ihr Mann ist Emma Herwegh in Liestal begraben - in Sichtweite meines Vaters.
Hier die Grabplatten-Inschriften sowie andere Informationen zu den beiden Liestaler Ehrenbürgern:
http://www.georgherwegh-edition.de/9.html
Hier eine kurze Info aus Berlin zu Emma Herwegh
http://www.berlin.de/ba-mitte/bezirk/gedenken/emma_herwegh.html
Dienstag, 29. Dezember 2009
A Travel Log 2
A Travel Log
Montag, 28. Dezember 2009
The Limits of Control
Samstag, 19. Dezember 2009
Donnerstag, 17. Dezember 2009
Schneeschaufeln
Eigentlich gibt es keinen Grund, den Schnee wegzuputzen. Er ist schneeweiß und unschuldig.
Mittwoch, 16. Dezember 2009
Selbstreinigungsmechanismen
Ich nehme, wie gesagt, die Wörter dort, wo sie mir zufallen. Oder auffallen. Gestern las ich den Satz "Herr Priklopil war sehr auf Hygiene bedacht." Mich verblüffte dieser Satz. Ich kenne diesen Mann nicht. Wahrscheinlich kennt ihn niemand. Aber dass jemand, der ein zehnjähriges Mädchen entführt und über acht Jahre lang im Keller seines eigenen Hauses gefangen hält, an Waschzwang und Putzwut leidet, seinem Opfer angeblich nicht erlaubte zu weinen, weil Tränen Salzränder hinterlassen (wo, bitte? möchte ich an dieser Stelle fragen - musste Herr Priklopil auch die Wangen seines Opfers unablässig reinigen?), es aber gleichzeitig in einem, wie es heißt "feuchten, kalten ekelhaften" Verlies einsperrte, klingt seltsam widersprüchlich.
Heute lese ich den Satz "Die fehlende Hygiene wird die Schweiz bitter büssen." Da bleibt jedem aufrechten Helvetier die Spucke weg. Ausgerechnet die Saubermänner sollen sich so etwas sagen lassen müssen! Die UBS würde "aus Staatsräson" geschont, schreibt der Kommentator des Tagesanzeigers (und ich gebe ihm in Klammern vollkommen Recht).
Aber hauptsächlich frage ich mich nun, aus rein lexikalischen Gründen, was ein Herr Ospel mit einem Herrn Priklopil gemeinsam haben könnte, denn beide Namen tigern plötzlich durch die Weltpresse in Gesellschaft dieses Wörtchens "Hygiene".
Es ist nicht wichtig, was gesagt oder geschrieben wird. Wichtig ist einzig und allein, in welchem Kontext etwas gesagt oder geschrieben wird.
http://www.tagesanzeiger.ch/meinungen/dossier/kolumnen--kommentare/UBS-wird-aus-Staatsraeson-geschont/story/14125133,
Montag, 14. Dezember 2009
Hühnerhautwörter
Samstag, 12. Dezember 2009
Gänsehautwörter
Ich sammle die Wörter dort ein, wo sie mir zufallen. Lesen tu ich nur noch unwillig. Hören kann ich nur noch unregelmäßig. Das hat mit meinen inneren Stimmen zu tun. Schreiben ist so etwas wie Durchdrehen. Fleischwolf. Etwas spaltet sich ab oder auf oder beides. Entzweit sich und mich.
Gerade eben aber spitzte ich meine beiden Ohren bis hoch unters Dach. So elektrisiert war ich plötzlich. Der Musikphysiologe und Neurologe Eckart Altenmüller sprach im Radio von Gänsehauttheorien und Gänsehautforschern, vom Gänsehautgefühl, von Gänsehauterlebnissen, von Gänsehautstellen, von der Gänsehautwahrscheinlichkeit, von Gänsehautmusik. Von starken Gänsehäutlern und schwachen Gänsehäutlern. Von der Gänsehautmessbarkeit. Davon, was gänsehautverdächtig sein kann und es dann doch nicht ist. Davon, wie die Gänsehaut mit unserem Gedächtnis zusammenhängt. Davon, wie die Gänsehaut verbessert werden kann. Davon, wie die musikalische (es gibt auch andere) Gänsehaut von unserer Hörbiographie oder Instrumentenerfahrung abhängt. Davon, dass Gänsehaut privat ist und beglückt, wir sie aber dennoch weder steuern noch kontrollieren können. Davon, dass Leute in sozialen Berufen wie etwa Ärzte und Krankenschwestern viel stärkere Gänsehäutler sind, als Leute in technischen Berufen, Ingenieure oder Physiker. Davon, dass die Gänsehautwahrscheinlichkeit in einer Gruppe rapide ansteigen kann, zB in unserem konditionierten Kulturkreis in einer vollen kalten Kirche während des Weihnachtoratoriums. Dass dabei gigantische Gänsehäute entstehen können, regelrechte Gänsehautstürme.
Höchst gänsehautanregend. Zum Nachhören hier: http://www.ndrkultur.de/media/audio22762.html
Donnerstag, 10. Dezember 2009
Dessin
Auf der Verpackung steht, was schon der Prospekt versprochen hatte: "WC-Sitz mit dekorativem Dessin". Zuerst glaubte ich an einen Übersetzungsfehler. Oder an ein Übersetzungsversehen. Ein vergessen gegangenes und deshalb unübersetztes (etwa aus dem Niederländischen?) Wort. Unsere Verpackungen sind mittlerweile mit den verschiedensten Sprachen übersät. Wir scheuen weder fremde Wörter noch fremde Menschen noch fremde Sitz- oder Betsitten, aber oft verstehen wir den Text nicht einmal in der Sprache, die wir meinen selber einigermaßen flüssig zu sprechen.
Der Duden belehrt mich schließlich eines besseren. Das französische Wort Dessin wird gleichberechtigt mit dem englischen Wort Design im Deutschen verwendet. Und mein Berliner Ehemann weiß sogar, wie es richtig ausgesprochen wird. Was für eine Überraschung nach 16 Jahren Ehe!
Montag, 7. Dezember 2009
Kartoffelglück
Das Foto entstand im August.
Mittlerweile ist der Kartoffelpreis gefallen, ein Fünfkilo-Sack kostet 3, ein Zehnkilo-Sack 5 Euro. Wer Glück hat, findet außerdem in seinem Sack ein Weihnachtsgeschenk - in jeden zwanzigsten Sack steckt Weerts in der Adventszeit zehn Euro. Wolfgang hatte kürzlich Glück. Er ist eben ein Sonntagskind.
Heute hatte er kein Glück. Aber ich hatte unglaubliches Glück. Er ist und bleibt ein Sonntagskind. Wir wollten an den Strand fahren, aber hinter Mannheim fuhr er über einen spitzen Stein und hörte ein unangenehmes Geräusch. Der Weg von Meldorf ans Meer führt auch im Winter über Mannheim. Aus dem Hinterreifen entwich pfeifend alle Luft. Seufzend schoben wir die Räder auf der Hafenchaussee zurück. Die Schafe blickten uns kopfschüttelnd nach. Pumpe oder Werkzeug hatte die Mechanikerin nicht bei sich. Der Professor hatte keinen Fotoapparat bei sich. Wir wollten bloß einen Ausflug ans Wasser machen. An der Ecke Jungfernstieg stand der Lieferwagen von Weerts. Der Kartoffelautomat war offen. Der Kartoffelbauer füllte seinen Kartoffelautomaten mit Fünf- und Zehnkilo-Kartoffelsäcken auf und erklärte uns den Mechanismus.
Alain de Botton beschrieb einmal seine Faszination von Brücken- oder Viaduktunterseiten. Es ist ein leichtes, etwas zu beschreiben, das man jederzeit wieder angucken kann.
Ich werde, sobald W.'s Fahrrad repariert ist, meine Faszination des Meldorfer Kartoffelautomateninnern beschreiben.
Donnerstag, 3. Dezember 2009
Winterregen
Land sowie Wert CHF
Pakistan 109'844'910
Dänemark 83'688'920
Deutschland 80'907'794
Belgien 79'363'228
Großbritannien 47'408'735
Niederlande 39'583'423
Rumänien 38'769'558
Saudi-Arabien 32'108'081
Finnland 30'560'764
U.S.A. 28'791'931
Spanien 17'431'391
Frankreich 17'231'818
Schweden 14'751'775
Malaysia 13'002'218
Kanada 9'878'149
Italien 7'968'692
Norwegen 7'202'864
Türkei 6'611'635
Irland 5'855'395
Australien 5'526'460
Polen 4'678'488
Österreich 4'381'702
Korea (Süd) 4'093'882
Griechenland 4'058'098
Brasilien 4'011'498
Slowenien 3'698'329
Singapur 3'060'206
Indien 2'686'226
Estland 2'571'242
Bahrein 1'746'250
Israel 1'711'118
Arabische Emirate 1'304'809
Jordanien 1'236'218
Diverse 6'242'626
Total Ausfuhr von Kriegsmaterial 2008: in 72 Länder, im Wert von 721'968'433 Schweizer Franken.
Im Dezember 2008 wurde die Verordnung über den Kriegsmaterialexport revidiert, seither sind Waffenlieferungen in Staaten, die in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sind oder Menschenrechte schwerwiegend verletzen, verboten.
Die Ausfuhrstatistik der Eidgenössischen Zollverwaltung bestätigt die Aussage von 70 Schweizer Rechtsprofessoren, die Schweiz widersetze sich ihrem eigenen Gesetz: "Ein beträchtlicher Teil des im ersten Halbjahr 2009 exportierten Kriegsmaterials wurde in Staaten geliefert, welche in die internen bewaffneten Konflikte in Afghanistan und im Irak verwickelt sind". Größter Waffenabnehmer der Schweiz im ersten Halbjahr 2009 war Deutschland, drittgrößter Saudi-Arabien, viertgrößter die USA.
Mittwoch, 2. Dezember 2009
Winterwind
Ich fahre an den Strand und denke über den Wind nach. Auf dem Rückweg bläst er mir eisig ins Gesicht.
Ich fahre an den Strand und sehe das Ende der Welt. Jenny Holzers Buchstaben brennen rund um den Erdball. Leuchtend gelb und unerbittlich gelb. Ich zitiere und übersetze aus dem Gedächtnis: töten ist unvermeidlich, aber es gibt keinen Grund, stolz darauf zu sein.
Dienstag, 1. Dezember 2009
Milch für Kinder
Leider geht in diesem Medienrummel vollkommen unter, was die stimmberechtigte Bevölkerung der Schweiz am letzten Wochenende noch entschieden hat: dass weiterhin Kriegsmaterial exportiert wird. Eine Mehrheit gibt nach wie vor lieber Kindersoldaten (wie zB in der indischen Krisenregion Chhattisgarh) Gewehre in die Hand, als Milch in den Mund. "Einheimische Profitinteressen", heißt es in einer Pressemitteilung, "werden höher gewichtet als ausländische Menschenleben." Dem Bundesrat wird "Faktenresistenz" vorgeworfen. Die Wirtschaftministerin teilt mit: „Weil der Heimmarkt für eine wirtschaftliche Produktion zu klein ist, ist die Schweizer Rüstungsindustrie auf den Zugang zu ausländischen Märkten und damit auf Exporte angewiesen."
Laut offiziellen Statistiken des Bundes exportierte die Schweiz von 1975-2008 für insgesamt 12,7 Milliarden Franken Kriegsmaterial, dazu ein paar neuere Zahlen:
- 2006 segnete der Bundesrat Kriegsmaterialexporte für 397,6 Millionen Franken ab.
- 2007 segnete der Bundesrat Kriegsmaterialexporte für 464,5 Millionen Franken ab.
- 2008 segnete der Bundesrat Kriegsmaterialexporte für 722 Millionen Franken ab.
Das bedeutet:
- Im letzten Jahr nahm der Export von Kriegsmaterial um 55,4 % gegenüber dem Vorjahr zu.
- Innerhalb von zwei Jahren nahmen der Export von Kriegsmaterial um 106,7 Prozent zu.
Im Vorfeld der Abstimmung verwies die Wirtschaftministerin wiederholt darauf hin, dass gemäß Art. 22 des Kriegsmaterialgesetzes die Herstellung, die Vermittlung, die Ausfuhr und die Durchfuhr von Kriegsmaterial für Empfänger im Ausland bewilligt werden, "wenn dies dem Völkerrecht, den internationalen Verpflichtungen und den Grundsätzen der schweizerischen Außenpolitik nicht widerspricht."
Mit Schweizer Kriegsmaterial wird immer wieder in Kriegen getötet. Unter anderem mit Granaten und Munition, die von der bundeseigenen Rüstungsbetrieben RUAG Nato Staaten, die im Irak und in Afghanistan im Kampf sind, geliefert werden, oder mit Pilatus Flugzeugen. Im Tschad wurde mit einer Pilatus Maschine Clusterbomben auf Flüchtlingslager im sudanischen Darfur abgeworfen; im Irak wurden Giftgasbomben aus Pilatus Maschinen abgeworfen, in Burma bombardiert das diktatorische Regime die eigene Bevölkerung mit Pilatus Maschinen.
Die Bewilligung für die Ausfuhr von Kriegsmaterial, wurde am 27. August 2008 vom Bundesrat dahingehend präzisiert, dass die „Ausfuhr von Kriegsmaterial ausgeschlossen ist", „wenn im Bestimmungsland ein hohes Risiko für einen Einsatz der ausführenden Waffen gegen die Zivilbevölkerung besteht".
Am 25. März 2009 bewilligte der Bundesrat folgende Exporte:
- 400 Maschinenpistolen des Typs MP9 PDW (Kaliber 9 Millimeter) im Wert von 824'000 Franken sowie 400 Sturmgewehren SG 553 (Kaliber 5,56 Millimeter) im Wert von 910'000 Franken an die Polizeikräfte des indischen Teilstaats Jharkhand
- 10 Maschinenpistolen des Typs MP9 PDW an die Polizei im Bundesstaat Chhattisgarh, hergestellt von der Thuner Rüstungsfirma Brügger & Thomet AG, im Wert von 20'000 Franken.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft bestätigt die Exporterlaubnis von Kriegsmaterial in das Krisengebiet: "Der Bundesrat hat Waffenlieferungen in den indischen Teilstaat Chhattisgarh bewilligt." Das Thema Kindersoldaten müsse bei der Prüfung von Waffenexportgesuchen zwar "berücksichtigt" werden, entscheidendes Kriterium für Bewilligungen sei aber, "ob im Bestimmungsland die Menschenreche systematisch und schwerwiegend verletzt werden." Dies ist in Chhattisgarh trotz Berichten über Kinder als Soldaten nicht der Fall: "Nach unserer Beurteilung liegen keine Gründe vor, die eine Ausfuhr verbieten würden."
Wie ließ die zuständige Bundesrätin verlauten? „Weil der Heimmarkt für eine wirtschaftliche Produktion zu klein ist, ist die Schweizer Rüstungsindustrie auf den Zugang zu ausländischen Märkten und damit auf Exporte angewiesen."
Die "ausländischen Märkte", auf welche die Schweizer Rüstungsindustrie "angewiesen" ist, sind Plätze, auf denen geschossen, getötet und gemordet wird.