Zur Feier des Tages bekomme ich ein Paket aus der Schweiz. Obwohl Samstag ist. Und bereits 16 Uhr. Statt mich des Inhalts zu erfreuen, falle ich über die Verpackung her, renne durchs Haus, suche verzweifelt eine Lupe. Ich kann den winzigen Text auf den zehn blutrotbunten, blumenblütigen, grünblättrigen 180-Briefmarken nicht entziffern. Außer: "... Im Glücke selbst, im Siege sich bescheidet ...".
W. bietet schließlich an, einen Blick ins Internet zu werfen. Mit Erfolg. Er findet die Lupe: "Die Lupe. Das Briefmarkenmagazin" Ausgabe 3/2009, Herausgeberin Die Schweizer Post. Ich habe die "Bescheidenheit" bekommen. Es gibt auch die "Menschlichkeit" (130), die "Selbstgenügsamkeit (100) sowie die "Unabhängigkeit" (85). Die vier Briefmarken bilden den deutschen Abschluss der Sonderbriefmarkenserie "Die Schweiz aus der Sicht ausländischer Künstler". Das Berliner Künstlerduo Kuno Ebert und Katja Dengel setzen auf eine Phantasieblüte und auf ein Stück niemandem bekannte Weltliteratur. Eine Widmung!
Schillers Drama "Wilhelm Tell" wurde am 17. März 1804 in Weimar uraufgeführt. Am 22. April 1804 schickte Schiller ein geschriebenes Exemplar seinem Freund, dem damaligen Kurfürsten von Mainz, Erzbischof Karl Theodor von Dalberg mit folgender Widmung:
Wenn rohe Kräfte feindlich sich entzweien
Und blinde Wut die Kriegesflamme schürt,
Wenn sich im Kampfe tobender Parteien
Die Stimme der Gerechtigkeit verliert,
Wenn alle Laster schamlos sich befreien,
Wenn freche Willkür an das Heil'ge rührt,
Den Anker löst, an dem die Staaten hängen:
Das ist kein Stoff zu freudigen Gesängen.
Doch wenn ein Volk, das fromm die Herden weidet,
Sich selbst genug, nicht fremden Guts begehrt,
Den Zwang abwirft, den es unwürdig leidet,
Doch selbst im Zorn die Menschlichkeit noch ehrt,
Im Glücke selbst, im Siege sich bescheidet:
Das ist unsterblich und des Liedes wert.
Und solch ein Bild darf ich dir freudig zeigen,
Du kennst's, denn alles Große ist dir eigen.
Wo er Recht hat, hat er Recht, der Herr Schiller. Heute will ich niemandem widersprechen, denn wir feiern 190 Monate Ehe. Schillers Gedicht befindet sich nicht nur handschriftlich in Dalbergs Exemplar des "Tell", sondern auch unter dem Titel "Wilhelm Tell" in meinem Bücherregal am Wattenmeer: Schillers Werke, Erster Band, Gedichte, S. 330, Gedicht Nr. 209 (von insgesamt 211 - der Autor starb bekanntlich kurz nach seinem "Tell" im Alter von nur 46 Jahren).
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