Mittwoch, 1. Januar 2020

Zeit

Über die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten wurde Tage im Voraus berichtet. Der Inhalt wurde auseinandergenommen, analysiert, vernichtend oder lobend. Es gab sogar O-Ton Schnipsel vorab zu hören. Ich muss gestehen, dass mich die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten an Weihnachten nicht mehr interessierte. Sie wirkte wie Schnee von gestern. Ebenso die Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin an Silvester. Nachdem ich in den Frühnachrichten meines Lieblingsradiosenders am 31. Dezember die grammatikalisch gewagte Formulierung hörte: "... wie die Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache sagte ..." schien mir, ich hätte etwas verpasst. Das Präteritum kommt dann zur Anwendung in der deutschen Sprache, wenn etwas vorbei und abgeschlossen ist, ergo: der Vergangenheit angehört.
Im Dezember wurde das Beethovenjahr eröffnet. Ein Jahr vor dem Jubiläum und mit einem Konzert vor der Eröffnung der Eröffnung. Das Fontanejahr ist sang- und klanglos zu Ende gegangen. Mit einer mehrteiligen Lesung des Stechlins abends um zehn. Und denkt jemand etwas noch an Offenbach, Leonardo oder Humboldt? Hölderlin? Fellini? Johannes Paul II?
Was einst beim Wetter sinnvoll war, nämlich die Vorhersage - der hundertjährige Kalender rettete manch einem Bauern das Überleben - macht sich nun in sämtlichen Bereichen unseres reizdurchpflügten Alltags breit. Wie ein alles erstickender Schimmelpilz.

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