Der Blaukoch
Blau
ist die Lieblingsfarbe von Herrn Schwarz. Vielleicht ist es auch Bläu oder Blei,
so genau wissen wir es nicht, da wir uns mit Farben nicht auskennen. Wir kennen
nur Töne, Tonarten, Tonschritte und Tonleitern. Die besteigen wir zu Beginn
jeder Chorprobe mehrmals, von immer anderen Grundtönen aus, die uns Herr
Schwarz auf den weißen Tasten des schwarzen Steinway anschlägt. Um Farbe in den
Probenraum zu bekommen, legt er uns bunte Silben in den Mund: „Blaublaublau...“,
„bläubläubläu...“, „bleibleibleib...“. Blei ist vielleicht keine Farbe, sondern
ein Befehl? Bleib!
Aber
er bleibt nicht. Er dirigiert noch die „Carmina Burana“ an Allerseelen und
zieht dann mit seiner Familie weg.
Eigentlich
wollte Herr Schwarz Koch werden, Blaukoch eben, und sich auf das Pochieren von Süßwasserfischen
spezialisieren, Forellen, Karpfen, Saiblinge. Stattdessen hat es ihn an die
Kleuker Orgel von St. Jürgen verschlagen, an den Rand des größten unbebauten
Marktplatz Deutschlands, in die Nähe eines Meeres, das den halben Tag verbummelt,
so dass Muscheln und Krebse sich in den Wattboden verkriechen, um zu überleben.
Hier bringt er uns Singen und Hören bei. Noch bis zum letzten Tag trainiert er mit
uns die richtige Lippenspannung, die richtige Position der Zungenspitze für die
Zahndammlaute, und schickt uns unermüdlich, mit Steigeisen an den Füßen oder
ohne, über Moll- und Durakkorde, heißt uns beim kleinsten Fehltritt innehalten
und verdeutlicht, ohne je die Geduld zu verlieren, den Unterschied von einem
unsauberen Halbtonschritt zu einem sauberen: „Blaublaublau...“, „bläubläubläu...“,
„bleibleibleib...“. Bleib!
Nein,
er bleibt nicht, sondern zieht Anfang November an einen Fluss, der immer Wasser
führt. Dort hat er bis zum 3. Advent Zeit, mit dem Chor der Trinitatiskirche
das Weihnachtsoratorium einzustudieren. An den wenigen freien Tagen wird er helles
Wurzelgemüse putzen, Dillstängel abzupfen, den Sud mit einem Schuss Essig sprudelnd
auf kochen und den Topf sofort vom Herd nehmen. Erst dann lässt er die jungen Elbhechte
sorgfältig hineingleiten und zehn Minuten garziehen. Der Blaukoch kocht den
Fisch nie!
Herr
Schwarz wird uns fehlen. Weder Blaubeersorbet noch Rotkohl mit Rehrücken können
uns über den Verlust seiner Klangfarbenlehre, seiner Blautonvorlieben, der
perfekt arrangierten Subdominanten und Obertonreihen hinwegtrösten. „Blaublaublau...“,
„bläubläubläu...“, „bleibleiblei...“ Blei ist natürlich eine Farbe und kein Befehl!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen