Auch Gottfried Keller verehrte und verewigte die Schuhmacher - wer es nicht glaubt, lese untenstehendes Zitat aus dem Sinngedicht. Keller nennt darin den Schuhmacher "Schuh- und Hochzeitsmacher". Für die Protagonistin Lucie stellt dieser Macher "Wald- und Feldschuhe" her. Wie er Pechdraht anfertigt, und welche besonderen Konsequenzen das Anfertigen dieses besonderen Schuhmacherdrahtes haben kann, beschreibt Keller folgendermassen:
»Der junge Meister, der noch allein arbeitete, war eben im Anfertigen eines neuen Vorrates von Pechdraht begriffen. An einem Haken über dem jenseitigen Fenster hatte er die langen Fäden von Hanfgarn aufgehängt, welche durch die ganze Stube reichten, und schritt nun, die eine Hand mit einem Stücke Pech, die andere mit einem Stücke Leder bewehrt, rück- und wieder vorwärts Garn und Stube entlang, strich das Garn und drehte oder zwirnte es auf dem einen Knie in kühner Stellung kräftig zum haltbaren Drahte und sang dazu ein Lied. Es war nichts Minderes, als Goethes bekanntes Jugendliedchen »Mit einem gemalten Bande«, welches zu jener Zeit noch in ältern, auf Löschpapier gedruckten Liederbüchlein für Handwerksburschen statt der jetzt üblichen Arbeitermarseillaisen und dergleichen zu finden war und das er auf der Wanderschaft gelernt hatte. Er sang es nach einer sehr gefühlvollen altväterischen Melodie mit volksmäßigen Verzierungen, die sich aber natürlich rhythmisch seinem Vor- und Rückwärtsschreiten anschmiegen mußten und von den Bewegungen der Arbeit vielfach gehemmt oder übereilt wurden. Dazu sang er in einem verdorbenen Dialekte, was die Leistung noch drolliger machte. Allein die unverwüstliche Seele des Liedes und die frische Stimme, die Stille des Nachmittages und das verliebte Gemüt des einsam arbeitenden Meisters bewirkten das Gegenteil eines lächerlichen Eindruckes.
Wenn er mit leichten Schritten begann:
Kleine Blumen, kleine Blätter – ja Blätter
Streien wir mit leichter Hand,
Gude junge Frihlings-Gädder – ja Gädder
Tändeln auf ein luftig Band,
bei dem luftigen Bande aber durch einen Knoten im Garn aufgehalten wurde und dasselbe daher um eine ganze Note verlängern und zuletzt doch wiederholen mußte, so war die unbekümmerte und unbewußte Treuherzigkeit, womit es geschah, mehr rührend als komisch. Die Strophe:
Zephir, nimm's auf deine Flügel,
Schling's um meiner Liebsten Kleid;
Und so tritt sie vor den Spiegel
All in ihrer Munterkeit,
gelang ohne Anstoß, ebenso die folgende:
Sieht mit Rosen sich umgeben,
Selbst wie eine Rose jung,
Einen Blick, geliebtes Leben!
Und ich bin belohnt genung.
Nur schien ihm das »genung« nicht in der Ordnung zu sein, und er sang daher verbessernd:
Einen Blick, geliebtes Leben!
Und ich bin belohnt genuch.
Reinhart und Lucie blickten sich unwillkürlich an. Der Sänger im kleinen Hause schien für sie mitzusingen, trotz jenes abscheulichen Idioms. Welch ein Frieden und welch herzliche Zuversicht oder Lebenshoffnung pulsierten in diesen Sangeswellen! Am jenseitigen Fenster stand ein mit Grün behangener Vogelkäfig. Nun kam aber die letzte Strophe. Fihle, sang er,
Fihle, was dies Herz empfindet – ja pfindet,
Reiche frei mir deine Hand,
Und das Band, das uns verbindet – ja bindet,
Sei kein schwaches Rosenband!
Weil der Draht noch nicht ganz fertig war, sang er diese Strophe mehrmals durch, immer heller und schöner, mit dem Rücken gegen die Lauscher draußen gewendet; im Bewußtsein der nahen Glückserfüllung wiederholte er das
Reiche frei mir deine Hand
besonders kraftvoll und ließ dann im höchsten Gefühle die geschleiften Noten steigen:
Und das Band, das uns verbindet,
Sei kein schwaches Rosenband!
Da ein paar Kanarienvögel mit ihrem schmetternden Gesange immer lauter dreinlärmten, war eine Art von Tumult in der Stube, von welchem hingerissen Lucie und Reinhart sich küßten. ...«
aus: Gottfried Kellers Werke, 6. Band, Das Sinngedicht, S. 311 ff
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