Ich brauche unendlich lange, um zu begreifen, wo ich bin. W. ist heute von Shanghai nach Peking geflogen und trägt wieder brav Schal, Handschuhe und Wintermantel. Ich habe immer noch das Gefühl, von Tschlin die Serpentinen hinunter ins Tal zu fahren. In ein unendlich weit entferntes Tal, unendlich kurvenreich. Den lieben langen Tag. Und nachts sucht mich mein neuester Alptraum heim. Gestern Abend vertiefte ich mich in ein Stück hervorragender Literatur meiner polnischen Freundin Maria. Sie rechnet mit ihrem Heimatland ab, ich mit meinem. Ich auf meine Art, sie auf ihre Art - ich kugelte mich vor Lachen. Und trotzdem träumte ich von meiner neuen Alp.
Am Mittag schwinge ich mich mutig auf mein gutes (neues) Fahrrad. Ich besitze für jede Lebenslage ein eigenes Fahrrad. Im Winter gehört der Strand den Schafen. Alle Zäune sind offen und die Schafe können sich auf jedem Strandabschnitt frei bewegen. Ich setze mich auf eine Bank auf dem Deich, die jemand vor mir gesäubert haben muss. Ich weiß, dass die Schafe im Winter gerne auf die Bänke steigen, auf den Bänken sitzen, auf die Bänke scheißen. Ich kaue ein Käsebrot und schaue auf das Watt. Das Wasser kommt nur zögerlich zurück. Von wo auch immer. Es ist fast windstill. Wo auch immer. Ich fahre durch die abgeernteten Kohlfelder nach Hause. Auch hier weiden nun Schafe. Den Schafen gehört die ganze Welt.
Meine Schuhsohlen sind voller Schafskot. Gutes Profil, gut gefüllt. Die Reifen an meinem Fahrrad sind voller Schafskot. Gutes Profil, gut gefüllt. Die Kette, die Pedale, der Rahmen, alles schafskotverspritzt. Ich lasse die Schuhe neben dem Fahrrad stehen. Im Fahrradschuppen riecht es wie in einem Schafstall.
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