Mittwoch, 31. Dezember 2008

Am Wattenmeer

Wir sind zurück in Meldorf (zur Erinnerung: 4,567 m üM).
Das Haus ist leer und bitterkalt. Wir gehen einkaufen, dann schlafen.


Ich sammle Superlative:

Ich stand am tiefsten Punkt der Erde. Dort, wo der Jordan - oder das, was vom Fluss übrig geblieben ist - ins Tote Meer mündet. Ca. 430 m unter Meeresspiegel.

Ich hörte im tiefstgelegenen Naurreservat (ca 400 m uM) der Erde, im Wadi Mujib, Vögel singen. Eine Seltenheit im Winter in Jordanien.

Ich sah im archäologischen Museum in Amman die ältesten Statuen der Welt, die Figuren von 'Ain Ghazal. Gefertigt in neolithischer Zeit, ca 6500 AD. Geformt angeblich in Einzelteilen aus einem hellen, weißlichen Gemisch aus Kalk und Lehm über Schilfrohrgerüsten, nachträglich zusammengefügt. Hervorgehoben die Augen durch schwarze Bitumeinlagen.

Dienstag, 30. Dezember 2008

Lebenszeichen aus Amman

Heute habe ich den Professor gebeten, für mich den Blog zu schreiben. Er soll nur mitteilen, dass es uns gut geht und wir heute Nacht wieder nach Deutschland zurückfliegen. Aus einem Jordanien, in dem alle entsetzt und ohnmächtig nach Westen bzw. in den Fernseher schauen. Alle Sylvesterfeiern sind abgesagt, die grossen Hotels teilen dies in den Tageszeitungen in Anzeigen mit Solidaritätsbekundungen für Palästina mit Trauerrand mit.

Montag, 29. Dezember 2008

Lots Frau

Schnappschuss aus dem fahrenden Auto: Lots Frau, auf den Felshängen über der heutigen Autobahn. Angeblich zur Salzsäule erstarrt, weil sie auf der Flucht aus Sodom und Gomorra entgegen der Weisungen der Engel hinter sich sah.

Das Foto kann, wie alle anderen an dieser Stelle, durch Anklicken vergrößert werden.

Lots Aussicht


Heute: Al Said am verdorrenden südlichen Ende des Toten Meeres mit Tomatenplantagen und einer stillgelegten Ketchupfabrik.

Lots Höhle

Auf der Fahrt von Aqaba nach Amman: Lots Höhle über einer fruchtbaren Ebene am Toten Meer.
Angeblich flüchtete Lot nach dem Untergang von Sodom und Gomorra mit seinen beiden Töchtern in diese Höhle über der Stadt Zoar, zeugte mit beiden ein Kind - Moab, den Stammvater der Moabiter und Ben-Ammi, den Stammvater der Ammoniter.

Sonntag, 28. Dezember 2008

Wadi Rum

Auf dem Weg nach Aqaba verbrachten wir zwei Stunden in der Wüste. Es war Wüste light, für Touristen, im Schnelldurchgang. Wir wurden von einem uralten Beduinen hinein gefahren und wieder heraus gefahren. Wir waren keinen wirklichen Gefahren ausgesetzt. Nur Eindrücken. Wirklichen und unwirklichen, geahnten und ungeahnten.

Samstag, 27. Dezember 2008

Petra

Den ganzen Tag sind wir durch Felsenschluchten gewandert und haben Staub geschluckt. In Petra haben die Nabatäer Grabmale und Tempel in die Felsen gehauen für die Ewigkeit. Doch heute weiß man nicht einmal mehr, für welche Gottheiten.
Ins Hotel zurückgekehrt sehen wir in den Nachrichten, dass über 200 Menschen im Gazastreifen umgebracht worden sind. In Jordanien herrscht höchste Alarmstufe, wir fahren morgen trotzdem ans Rote Meer nach Aqaba. Und vorher nach Wadi Rum in die Wüste.

Freitag, 26. Dezember 2008

Das Tote Meer


Wir legen uns vor dem Frühstück noch einmal kurz in das Salzwasser. Dann fahren wir weiter nach Süden. Über Karak nach Petra.

Donnerstag, 25. Dezember 2008

Am Jordan

Unsere Pilgerfahrt zu der Stelle am Jordan, an der angeblich Jesus von Johannes getauft wurde. Es regnet unterwegs. Im Hintergrund die griechisch-katholisch-arabische Kirche, die im Andenken an diesen feierlichen Akt an der Grenze zu Israel auf einem von Papst Johannes Paul II geweihten Platz gebaut wurde.

Mittwoch, 24. Dezember 2008

Amman

Wir sind in Amman und fahren am Nachmittag ans Tote Meer. Heute Nacht hat es hier seit 9 Monaten zum ersten Mal geregnet. Der Wind rüttelt gerade an den Dächern wie an der Nordsee. Wir haben schon sehr viel Steine, viel Staub und ganz viel Erstaunliches gesehen.
Merry Christmas!

Dienstag, 23. Dezember 2008

Sonntag, 21. Dezember 2008

Schuheputzen

Als letztes wollte ich nur noch unsere Schuhe putzten. Dabei habe ich meinen sandgelben Pullover mit der schwarzen Schmiere bespritzt. Kommt davon, wird die Fachfrau sagen, wenn man moderne Tuben benützt, die fast leer sind. Und aus denen man aus Geiz oder in Hektik die letzten Reste mit aller Gewalt herauspressen will. Wie den Senf aus einer Senftube. Oder die Zahnpasta aus einer Zahnpastatube. Weder Senf noch Zahnpasta hätten meinen sandgelben Pullover so unrettbar verschmutzt.
Dabei dachte ich, das sei die angemessene Farbe für eine Reise nach Jordanien. Nun wird es eben ein rostroter Pullover sein. Wir fliegen heute Nacht nach Amman. Wir werden, wenn wir ausgeschlafen sind, am Toten Meer Lots Frau besuchen, in Petra herumlaufen und vieles andere mehr unternehmen. Wir wünschen allen frohe Weihnachten und einen sicheren Rutsch mit sauberen Schuhen ins neue Jahr.

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Winter an der Nordsee

Sicht bei ablaufendem Wasser von der Meldorfer Bucht auf den Hafen des Nordsee-Heilbads Büsum sowie auf das 1972 gebaute einundzwanzigstöckige Mehrsterne-Appartement-Hochhaus am Sandstrand an der Perlebucht.

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Das Lebkuchenschicksal

W. konnte sich nicht entscheiden, ob das [was ich auf dem Foto in der rechten Hand halte] eine Elchlaus oder ein Nikoelch sein soll. Er nannte ihn Nico, die Elchlaus und war immer noch nicht zufrieden, weil die grammatikalischen Geschlechter so ganz und gar nicht zusammenpassen wollten. Inzwischen ist er oder sie nicht mehr unter uns. Wir haben den Lebkuchen nämlich mitsamt roter Mütze und samtener Pfoten heute Mittag anlässlich unseres 15-jährigen Ehejubiläums am Winterstrand ratz fatz - oder, wie die Helvetierin sagen würde: rübis und stübis - aufgegessen, die trockenen Krumen mit einem Gläschen naturgekühlten Neuburger Terrassen Federspiel hinuntergespült und sind flugs vor dem nächsten Eisschneeregen nach Hause geradelt.

Donnerstag, 4. Dezember 2008

Die orthomolekulare Apotheke

Wir haben unsere Trampelpfade. Und stolpern, wenn überhaupt, dann höchstens noch über unerwartet im Weg stehende großformatige Werbeflächen. Wenn wir nach Hamburg fahren, füllen wir meist in Altona ein Gepäckschließfach. Entweder weil wir eingekauft haben, oder weil einer von uns gerade auf Durch-, Weiter- oder Heimreise ist und deshalb saubere oder schmutzige Wäsche sowie eine überdurchschnittliche Menge an Lesestoff bei sich hat.

Heute Mittag stolperte ich im Bahnhof Altona über einen winzigen grasgrünen Kleber neben dem Metallgriff an der Glastür der Bahnhofsapotheke. Die Apotheke liegt auf unserem donnerstäglichen Trampelpfad vom Bahnsteig zum Schließfach. Oder vom Schließfach zum Bahnsteig. Zwischen die Füße sprangen mir heute die weißen Lettern auf grünem Grund: "orthomolekulare Apotheke". Ich frage W., was das heißen soll. Er, der eigentlich alles weiß, weiß es nicht. Er sagt, er kenne "ortho" nur in Orthographie. Und was heißt Orthographie? Rechtschreibung. Also hat diese Apotheke etwas mit Recht oder Richtigkeit zu tun? Mit aufrechtem Gang oder mit Aufrichtigkeit? Ich kenne, sage ich, "ortho" in Orthopäde oder Orthese. Damit befinde ich mich sachlich näher an der Apotheke als du. Wir stehen nebeneinander vor der durchsichtigen Apotheke. Sie hat nicht nur eine Glastür, sondern auch Glaswände, in denen sich die Umrisse unserer Körper spiegeln. Das bringt uns alles nicht weiter, sagt W. und Recht hat er. Also drehen wir uns um und fahren mit der Rolltreppe zum S-Bahnsteig hinunter.

Am Abend trennten sich unsere Wege. Er nahm den Nachtzug und ich kaufte mir gebratene Nudeln und stieg, wie gewohnt, in die NOB. Zu Hause wälze ich Wörterbücher und lerne, dass orthomolekular aus dem Griechischen kommt: orthos = richtig, Molekül = kleine chemische Verbindung, molekular = die Moleküle betreffend. Orthomolekular wird auch als "Baustein" erklärt. Die orthomolekulare Medizin, heißt es, gehöre zu den komplementärmedizinischen Methoden und setze Substanzen wie Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, Aminosäuren oder Fettsäuren ein, um die Gesundheit zu erhalten oder Erkrankungen zu lindern. So weit, so gut. Was aber, wundere ich mich weiterhin, tut die orthomolekulare Apotheke in Altona? Obwohl es schon spät ist, schalte ich den Computer ein. Einer Internetanzeige entnehme ich Folgendes: "Sie erfahren bei uns, mit welchen orthomolekularen Mitteln Sie Krankheiten heilen oder deren Entstehung verhindern können. Als Produkte verwenden wir Burgerstein oder Hepart. Gerne nehmen wir uns Zeit, um für Sie die geeigneten Substanzen herauszusuchen." Heißt das nun, dass die orthomolekulare Apotheke sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sie Zeit hat, respektive sich Zeit nimmt? Woher auch immer. Wem auch immer. Gerade am Bahnhof ist der Zeitfaktor nicht zu unterschätzen, denke ich und führe Selbstgespräche in die Nacht ein. Ein wahres Mysterium, dieser Bahnhof!

Mittwoch, 3. Dezember 2008

Der erste richtige Schnee

Der erste Schnee fiel am 14. November 2007 (wie fadenscheinig, kann dort nachgelesen werden). Der erste richtige Schnee fällt heute. Es schneit den ganzen Vormittag. Dicke, nasse Flocken fallen unablässig vom Himmel. So etwas habe ich hier am Wattenmeer noch nicht zu Gesicht bekommen. Ich laufe aufgeregt von einem Fenster zum anderen. Schaue aus dem Wohnzimmer in den Süden. Aus der Küche in den Norden. Aus dem Schlafzimmer in den Osten. Sitze am Schreibtisch und schaue in den Westen. Überall wachsendes Weiß. Ich kann mich nicht sattsehen an unserem naturbelassenen Rasen, dessen Löcher gnädigerweise ein-, zu- und glattgeschneit werden. Ich kann mich nicht sattsehen an den Tannen des Nachbarn, in deren Äste das Weiß dick hängen bleibt. Vom Badezimmerfenster aus kann ich mich nicht sattsehen an den Dächern der Nachbarn, die weiß und weißer werden. Von unserem eigenen Dach erspähe ich soviel, wie von einem zugeschneiten Dachfenster aus zu erspähen ist. Ich nehme an, dass auch auf unserem Dach das Prinzip der Ähnlichkeit gilt - similia similibus curentur. Ähnliches soll durch ähnliches geheilt werden. Oder anders gesagt: ähnliche Einzelreize werden als Einheit wahrgenommen. Auch auf unseren beiden Dächern bleibt der Schnee liegen. Der Schnee hebt die letzten verblichenen Reste der ehemaligen Grundstücksgrenzen endgültig und unwiderruflich auf. Im Haus, im Garten und auf dem Dach.

Gegen Mittag hört das Treiben vom Himmel hoch, in der bleiernen Luft, auf unsere bloßen Häupter herab, plötzlich wieder auf. Als wär's nur ein Spuk gewesen. Es war aber kein Spuk. Ich hole die Schneeschaufel aus der Garage und schaufle, wie alle Nachbarn rund herum, den Bürgersteig rund um unser Eckgrundstück lärmend leer.

Montag, 1. Dezember 2008

Schwiegervaters Geburtstag

Heute wäre Schwiegervater 80 Jahre alt geworden. Es ist kaum anzunehmen, dass er diesen Tag erlebt hätte, wenn er eines natürlichen Todes hätte sterben dürfen. Trotzdem oder gerade deshalb sind wir traurig.

Heute Mittag zeigte sich zum ersten Mal ein Grünspecht in unserem Garten. Sein Nacken und der Oberkopf leuchteten feuerrot aus dem Gras. Er hüpfte und pickte unter meiner verwaisten Wäscheleine herum, als ob es ausgerechnet dort etwas ganz besonders Leckeres aus dem Boden zu ziehen gäbe. Der Rasen unter der Wäscheleine ist merklich anders beschaffen als der Rasen im Rest des Gartens. Das fiel mir kürzlich auf, als etwas Schnee gefallen und ein paar Tage liegen geblieben war. Unter der Wäscheleine, dh auf dem Streifen, auf dem ich auf- und abtigere, hin- und herlaufe, wenn ich Wäsche aufhänge oder abnehme, war der Schnee deutlich schneller verschwunden als rundherum. Vielleicht sind die Würmer durch meine Schritte aktiver geworden. Vielleicht haben die Schattenwürfe unserer T-Shirts den Boden geistig angeregt. Vielleicht gibt es dort unter Tag verzweigte Ameisengänge. Wie auch immer. Der Boden unter der Wäscheleine scheint wärmer zu sein. Besser durchblutet oder besser durchlüftet, wer weiß. Dem Grünspecht gefiel es dort eine Weile. Ich beobachtete ihn vom Wohnzimmer aus, bis er aufflog und durch Nachbars Garten verschwand. Ich werde versuchen, ihn wieder herzulocken. Ich möchte ihn nicht bloß als flüchtigen, bunten Geburtstagsgruß verstanden haben. Wenn er erst einmal da ist, bilde ich mir ein, kann ich ihn beschwatzen, zu bleiben. Für immer. Und ewig. Bei uns wohnen so viele Wurm- und Wegameisenarten! Der Grünspecht soll, wie ich lese, gar nicht an Bäume klopfen wie andere Spechtarten. Sondern er liebt das Bodenständige. Er hat eine zehn Zentimeter lange Zunge mit verhorntem Ende in Form eines Widerhakens. Damit sucht er in der kalten Jahreszeit in den Spalten von Hauswänden und Dächern nach überwinternden Gliederfüßern wie Fliegen, Mücken oder Spinnen. Davon haben wir ausreichend! Neben faulenden Äpfeln auf dem Kompost haben wir auch noch Beeren anzubieten, vertrocknete Vogelbeeren und Samenmäntel der Eibe. Auch besteht unser Garten eigentlich nur aus lockerem Oberboden und Störstellen, in denen der Grünspecht mit seinem langen Schnabel bohren kann, soviel er will.

Letzte Woche kam das Fernsehen wieder auf uns zu. Man will uns noch einmal als Angehörige eines Opfers befragen. Vor laufender Kamera und als schmückendes Beiwerk für ein ehrgeiziges Projekt. Neben der besonderen Beschaffenheit des Bodens unter meiner Wäscheleine ist mir noch aufgefallen, wie einsam wir geworden sind durch ein Erlebnis, das wir mit niemandem teilen. Heute wäre Schwiegervater 80 Jahre alt geworden. Natürlich sind wir todtraurig.