Mittwoch, 31. Oktober 2007

Die erste Nacht allein

W. flog gestern nach New York JFK. Ich verbrachte die erste Nacht allein im Haus. Das stimmt natürlich nicht mit der Wirklichkeit überein, denn W. flog schon im September zu einer Tagung nach Sao Paulo. Aber es stimmt für die Welt dieses blogs, die mit dem ersten Frost beginnt. Ich verbrachte die erste Nacht im Haus allein und konnte nicht einschlafen. Ich hatte kalte Füße und wartete vergeblich auf eine Gutenachtgeschichte.

Ich fliege heute nach Zürich. Besuche meine toten und lebendigen Verwandten. Am Samstag fahre ich mit der Schuhfrau zu einem Schuhevent in ein enges Tal im Engadin, nach Tschlin auf 1600 Meter über Meer. Ich werde frieren und Wörter aufsammeln für mein neues Buch, die weder Nilsson noch Duden noch Dornseiff feilbieten. Das Leben geht weiter. Das Schreiben geht weiter. Der Himmel über Meldorf wird mir fehlen. W. wird mir fehlen. Und es wird sich zeigen, wie mein Kreislauf auf den Höhenunterschied reagiert. Von gerade mal 6 Metern über Meer am Klev in unserem Haus, und höchstens 14 Metern, auf denen der Meldorfer Dom steht, bis mindestens 4 Meter der restlichen Stadt auf 1600 Meter!

Jetzt nable ich meinen Laptop von den Kabeln auf dem Schreibtisch ab, packe meine Siebensachen und gehe zu Fuß zum Bahnhof.

Dienstag, 30. Oktober 2007

Der Abzweig-Baldachin

Der Abzweig-Baldachin. Ein Wort von Nilsson, dem Meldorfer Baumarkt. Ich habe schon vier Abzweig-Baldachine in unserem Haus untergebracht, zwei davon gestern. Sie sind aus weißem Plastik und kosten pro Stück 1 Euro und 37 Cent. Gestern fuhr ich also nochmals durch den strömenden Regen über den Domhügel zu Nilsson. Um zwei Abzweig-Baldachine zu kaufen und den sechsstrahligen Halogenleuchter über dem Esstisch im Wohnzimmer sauber und ordentlich an der Decke anzubringen. Unter dem Abzweig-Baldachin, das Wort sagt es, man kann sich das geradezu plastisch vorstellen, verschwinden alle Buchsenklemmen, Kabelschellen und anderen unschönen Verbindungsstücke zwischen einer Glühbirne, die irgendwann brennen soll, und einem elektrischen Kabel, das irgendwo aus der Decke kommt.

Auf den Abzweig-Baldachin machte mich der Malergeselle schon im August aufmerksam. Er kannte das Wort nicht, wusste aber, dass es das Ding bei Nilsson zu kaufen gibt. Bei Nilsson, das merkte ich schnell, ist man zu jeder Kundin, zu jedem Kunden freundlich. Dort wird jeder noch so einfältige Heimwerkerwunsch geduldig entgegengenommen und erfüllt. Als ich eines Tages die zweite Hälfte der Griffleiste vom Dachfenster im Bad plötzlich in der Hand hielt – wir hatten das Haus mit einer abgebrochenen halben Griffleiste im einen Bad gekauft, die eine Griffhälfte stand artig hinter der Tür in der Ecke, die andere hing noch am Fenster und wurde, wen wundert’s, täglich überbeansprucht – fuhr ich zu Nilsson. Ein freundlicher Mann erklärte mir, wie ich das Fenster trotzdem öffnen konnte, und wo ich die Nummer fand, anhand derer er in der Lage sein würde, mir das passende Ersatzstück zu bestellen. Ich fuhr also mit der Nummer GGU 308 0059 nochmals zu Nilsson. Und eine Woche später fuhr ich ein drittes Mal zu Nilsson, um die neue Griffleiste abzuholen.

Auch Muffenstopfen bekam ich bei Nilsson, obwohl ich von dem Wort keine Ahnung hatte. Auch davon brauchte ich zwei. Den richtigen Lasurpinsel bekam ich bei Nilsson, und die Holzlasur im richtigen Farbton. Und die verzinkte Kappe auf das offene Ende eines Übergangsreduzierstücks mit Außengewinde, an das wahrscheinlich einmal der Wasserschlauch einer Waschmaschine angeschraubt war, und aus dem jetzt, dem offenen Ende, da die Waschmaschine mitsamt dem vorherigen Besitzer ausgezogen war, Wasser tropfte, wenn wir Zähne putzten oder unsere Hände wuschen, bekam ich bei Nilsson. Nilsson ist ergiebiger als Duden.

Montag, 29. Oktober 2007

Der erste Regen

Es regnet in Meldorf. Wir steigen kurz vor acht Uhr auf die Fahrräder. Und fahren über die Bürgerweide. Auch die Pferde lassen ihre Köpfe hängen. Siehst du. Sage ich. Nebel, meint W. durch die beschlagenen Brillengläser. Es wird gar nicht hell, trotz Winterzeit. Er muss zum Bahnhof, zur Arbeit nach Heide. Ich will über den Berg, an der Gelehrtenschule vorbei zu Lidl, zur Arbeit nach Hause. Ich kaufe eine Außenlampe mit integriertem Bewegungsmelder, eine 6-flammige Halogen-Deckenleuchte und eine Tischleuchte mit Touch-Dimmer. Jeweils zum Spottpreis. Der heutige Tag ist gerettet. Ich habe viel zu bohren und zu schrauben.

Mein Leben bestimmen jetzt die Briefkästen. Wir besitzen drei. An jedem Hauseingang an jeder Straßenseite einen, und einen weiteren, rostigen unten am Baumhaus in der Edelkastanie. Ja, wir besitzen auch drei Häuser. Und drei Eingänge. Der Winter steht vor allen siebentausend Türen dieser Stadt. Die bunten Prospekte der Billiganbieter terrorisieren die ganze kleine unschuldige Welt. Auch hier gilt: wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Sonntag, 28. Oktober 2007

Hausbesitzen

Wie nimmt man ein Haus in Besitz? Indem man beim Notar einen Kaufvertrag unterschreibt. Indem man auf der Bank einen Darlehensvertrag unterschreibt. Indem man diverse Kosten, Steuern, Zinsen auf sich lädt und für den Rest des Lebens arbeitet und abzahlt.

Am Anfang, Ende August oder in den ersten Septembertagen, nachdem die Maler ein Zimmer nach dem anderen frisch tapeziert und gestrichen hatten, dachte ich, ich würde das Haus, das heißt: die beiden Häuser, die sich Rücken an Rücken lehnen wie siamesische Zwillinge und sich gleichen wie ein Spiegelbild (siehe „Wir in Venedig“), in Besitz nehmen, indem ich sie putze. Indem ich jeden Millimeter Wand, Boden, Decke, Fenster- und Türrahmen, Treppenstufe, Treppenabsatz und Treppengeländer und so weiter und so fort mit einem feuchten Lappen berühre und scheuere, bis er glänzt. Indem ich den Staub der Handwerker, der Zeit und des Lebens für einen Moment entferne. Und für einen Moment der Illusion erliege, ich besäße ein sauberes Haus. Heute weiß ich, dass ich damals, am Anfang, als unsere Möbel und Bücher noch lange in Berlin standen, überhaupt nichts besaß. Dass ich, wenn überhaupt, höchstens einen Eindruck, der sich beim ersten Windstoss von der Nordsee schon wieder verflüchtigte, in Besitz genommen hatte. Den Dachboden, beide Dachböden, hatte ich nicht einmal betreten. Spinnen sind hier tatsächlich fleißiger als Ameisen.

Heute ist der längste Tag des Jahres. Gestern fegten wir den ganzen Tag Laub zusammen und trugen Äste und Gestrüpp auf mehrere Haufen. Wir besitzen nicht nur zwei Häuser sondern auch zwei Gärten. Die Häuser waren getrennt durch eine Brandmauer. Und die Gärten waren getrennt durch einen Sichtschutz. Grün und wild, verwuchert. Ich warte auf meinen Bruder, den Gärtner, aus der Schweiz. Dann liefere ich sämtliche Pflanzennamen nach. Wir wollen einen Bambuswald und einen Teich anlegen. Ein Kunstwerk bauen, oder mehrere. Um unser Haus herum. Dazu müssen wir zuerst das feuchte Laub in Müllsäcke stopfen. Das Gartengerät sichten. Jeden Millimeter des vermoosten Rasens durchkämmen. Den Apfelbaum schütteln. Die dreieckigen Kastanien auflesen. Angeblich kann man sie essen. Aber wie?

Wie nimmt man ein Haus in Besitz? Indem man ein Wochenende lang versucht, dem Herbst Herr zu werden. Oder Frau. Ich weiß es nicht. Auch die Dachrinnen wollen vom Laub befreit werden. Schwiegermutter erinnert aus Berlin daran, dass die Tulpenzwiebeln vor dem ersten Frost gesteckt werden müssen. Die Birke verliert die Blätter zuletzt, warnte uns die zweite Frau des letzten Besitzers des einen Hauses. Das ist doch herrlich, dachte ich. Damals, im August oder Juli. Der Mann, der uns das Darlehen für den Kauf zweier Häuser, zweier Gärten, zweier Garagen usw. gewährte, klärte mich auf: in dieser Gegend gilt die Birke als Unkraut.

Donnerstag, 25. Oktober 2007

Wir in Venedig



Unser erster gemeinsamer Ausflug. Mein 50. Geburtstag. Wir im German Pavillon an der Biennale. Spieglein, Spieglein ...

Dienstag, 23. Oktober 2007

Der Umschalter

Ich lerne jeden Tag neue Wörter. Das Watt und die Marsch und die Geest kennen wir schon. Auch das schöne Wort Geestsporn. Darauf liegt Meldorf und auch unser Haus. Diesen Sporn mitten im eingedeichten Marschland haben wir am Horizont immer deutlich vor Augen, wenn wir durch das Epenwöhrdenermoor nach Hesel fahren oder von Hemmingstedt über das Epenwöhrdenerfeld auf die Südermiele zusteuern. Nun steht der Winter vor der Tür und die Fahrräder lehnen an einer frisch gestrichenen Wand in der Garage. Im Haus an der Schleswiger werden die Heizkörper nicht warm. Wir wohnen in einem Haus, das von zwei Seiten betreten werden kann. Früher, noch vor zwei Monaten, wohnten hier zwei Familien. Wir ließen die Wand im Wohnzimmer durchbrechen und die Grundstücke im Grundbuch zusammenführen. Das kostet alles Geld. Jetzt ist es ein Haus. Unser Haus. Aber es hat nach wie vor zwei Eingänge. Und die beiden Eingangstüren liegen nach wie vor an zwei verschiedenen Straßen. Wir hätten natürlich, das fällt mir erst jetzt ein, die eine Seite zumauern lassen können. Sofort. Mit den Backsteinen aus dem Wohnzimmer. Aber die Maurer haben die Steine längst weggetragen. Nun ist es in der einen Haushälfte kalt. W. sagt, ich solle die Heizung hochstellen, alle Regulierventile aufdrehen. Der frühere Besitzer sagt, ich müsste die Heizkörper zu Beginn der Heizperiode entlüften. Dazu gäbe es einen Vierkantschlüssel. Und eine bestimmte Reihenfolge. Anfangen soll ich mit dem Heizkörper in dem Zimmer, das sich am weitesten entfernt von der Heizung befindet. An der Flensburger ist alles einfacher und sauberer. Der Vorlauf ist kalt. Und der Rücklauf ist kalt. Schließlich kommt ein Monteur. Er kratzt sich am Kopf. Flucht, weil sein Schlauch zu kurz ist. Fährt nochmals weg. Zum Kollegen irgendwo um die Ecke, den er vorher angerufen hat. Dann bringt er einen längeren Schlauch. Pumpt Wasser in den Heizkörper, welcher der Heizung am nächsten ist. Im unteren Bad. Oder Saunabereich. Oder Heizraum. Den Zimmern können mehrere Namen zugeordnet werden. Sie verändern sich dadurch nicht. Auf der Anzeige steigt der Druck, aber warm wird nichts. Der Monteur fragt, ob wir es noch einen Tag aushalten. Der Umschalter. Sagt er. Anders könne er sich das nicht erklären. Der Umschalter funktioniere nicht. Der Umschalter, der bewirkt, dass die Heizung von nur Warmwasseraufbereitung im Sommer auf Heizen + Warmwasser im Winter umschaltet. Wann die Heizung zum letzten Mal gewartet wurde. Will er noch wissen. Ich zucke mit den Achseln. Wir wohnen gerade mal sechs Wochen hier. Bei Schüsselübergabe war noch Sommer. Danach kamen zuerst die Maurer und Maler und alle Türen und Fenster standen sperrangelweit offen.

Montag, 22. Oktober 2007

Der erste Frost

Der erste Frost in Meldorf. Wir steigen kurz vor acht Uhr auf die Fahrräder. Und fahren über die Bürgerweide. Auch die Pferde freuen sich über den Raureif. Sage ich. Und über die klare Luft. Denen sei einfach kalt, meint W., deshalb würden sie so wild herumtollen. Er muss zum Bahnhof, zur Arbeit nach Heide. Ich will zu Aldi, zur Arbeit nach Hause. Ich kaufe eine Halogenlampe mit Bewegungsmelder zum Spottpreis. Danach habe ich wieder etwas zu bohren und zu schrauben. Am heutigen Montag.

Wir sind gut ausgestattet mit Einkaufsmöglichkeiten. Edeka und Aldi am Bahnhof. Plus um die Ecke. Lidl und Wandmaker hinter dem Berg, von uns aus gesehen. Hinter der größten Erhebung weit und breit, auf welcher der Meldorfer Dom steht. Und nicht zu vergessen Rewe, Montag bis Samstag bis 22 Uhr geöffnet. In der Fußgängerzone gibt es einen traditionellen Fleischer, den Mühlen-Bäcker, mehrere Apotheken, Optiker und Uhrengeschäfte sowie einen Bioladen.

Ich muss noch das Rosmarin ausgraben und den Lorbeer. Ob Salbei winterhart ist, weiß ich nicht. Aber ich kann ja nicht den ganzen Garten ins Haus hineintragen.