Das ablaufende Wasser ausnützen und zu Fuß auf den Japsand. Das ist die beste Art, das Jahr zu beenden. Mit Gummistiefeln durch den Matsch, bis der schneeweiße Sand erreicht ist. Bis alles Schwere, Nasse abgelegt und das Flüchtige, Leichte gewonnen ist. Wünsche allen ebensolch reinigende Erfahrungen.
Donnerstag, 31. Dezember 2015
Mittwoch, 30. Dezember 2015
Jahresendalphabet
Binnenmajuskel. Ein Wort aus der Druckersprache. Bildlich veranschaulicht oder geschrieben sieht es so aus: Die BinnenMajuskel. Das M in der WortMitte groß wie am Anfang. Zum Beispiel im Nominativ: Die Majuskel. Sie hat nichts mit Der Muskel zu tun. Obwohl die Majuskeln im Plural auf -n enden wie die Muskeln.
Dienstag, 29. Dezember 2015
Windalphabet
Gegen Morgen nimmt das Grollen über dem Kopf ab. Ständiger Wind hat auch etwas Beruhigendes. Ich bin nie allein. Sein Rauschen ist immer nah bei mir. Beim Hellwerden sehe ich vor dem Fenster Gänse. So viele Gänse. Wenn der Wind mal still hält, höre ich nachts Gänse. Sie schnattern immer. Ohne Licht nimmt jedes Geräusch an Intensität zu. In der Zeitung eine Rezension von "Wie auf Erden" (Film von Kay Pollak, die Fortsetzung von "Wie im Himmel" - herrlich!). Für alle, die singen wollen und es nicht können. Oder umgekehrt.
Montag, 28. Dezember 2015
Montagsausflug
Ich kapituliere. Sehe vor dem Fenster leuchtende Fennen. Wolken aufsteigender Gänse. Irrgäste oder Dagebliebene. Zaungäste. Zuggäste. Und das Landsende im Morgenlicht. Idylle pur. Und plötzlich das Rattern des Hubschraubers. Zwischen den Jahren sind auch Fährgäste da. Menschen, die mit der Fähre anreisen. Und ihre Krankheiten und Gebrechen mitbringen. Ich hänge zum ersten Mal Wäsche an die Leinen im Garten und fahre schließlich, zähneknirschend, nach Hanswarft. Kein Gegenwind. Der Reiher weist mir den Weg. Wie immer. In der warmen Sonne auf der Bank am Fething erledige ich im ungeschützten Münchener Freifunk (= öffentlich zugängliches WLAN) die wichtigste Weihnachts- und Neujahrspost, meine Bankgeschäfte, meine Dankesbotschaften, meine Anweisungen und Tröstungen. Mit einem Wort: ich setze nach zwei Wochen Abstinenz wieder Lebenszeichen ins Netz.
Sonntag, 27. Dezember 2015
Sonntagsausflug
mit Apfelkuchen auf die Schulwarft. Die Schule ist geschlossen, der Kindergarten auch. Die kindergarteneigenen Hühner leben noch, wir überprüfen das. Die Pastorin empfängt uns, die Gäste aus Afghanistan und die interimistischen Ausländerbeauftragten, in ihrer Wohnung über der Schule. Zu Kaffee und Kuchen und Spielen und Toben,
Die Nacht ist klar und hell wie der Tag es nicht war. Der Mond ist bereits wieder am Abnehmen. Wir kommen ohne Taschenlampe nach Hause. Der Kleinste schläft in meinem Fahrradkorb.
Die Nacht ist klar und hell wie der Tag es nicht war. Der Mond ist bereits wieder am Abnehmen. Wir kommen ohne Taschenlampe nach Hause. Der Kleinste schläft in meinem Fahrradkorb.
Samstag, 26. Dezember 2015
Gnadenlos
Der Sturm tobt. Ich wurde in der Nacht auf dem Heimweg nass bis auf die Haut. Und heute früh auf dem Weg in die Kirche wieder. Und am Nachmittag auf dem Weg zum Deich noch einmal. Ich wollte wieder das Grau sehen. Die vielen Abstufungen von aufgewühltem Wellengrau. Die Flut, die sich am Himmel vergreift. Und ich wollte den Wind spüren, der so eindeutig und scharf ist, dass er mich daran hindert, in die falsche Richtung zu gehen. Er peitscht mich gnadenlos vor sich her.
Freitag, 25. Dezember 2015
Seehundparadies
Vollmond und kleines landunter (man vergleiche das erst Foto mit dem vom Montag!) am Mittag. Die Seehunde sonnen sich auf dem grünen Deich, den sie endlich erreichen, ohne sich den Bauch auf den Igeln aufzukratzen. Meine Weihnachtsgeschichte!
Und mein erstes Halligwort: Igel! Der Igel auf Hooge sind an der Halligkante aufgeschüttete Kantsteine oder dieser Steindeich selbst.
Und mein erstes Halligwort: Igel! Der Igel auf Hooge sind an der Halligkante aufgeschüttete Kantsteine oder dieser Steindeich selbst.
Donnerstag, 24. Dezember 2015
Heiligabendpost
Im Radio reden sie den ganzen Tag vom Heiligen Abend, den es m.E. nicht gibt. Auf der Treppe liegen am Nachmittag unerwartete Grüße aus Meldorf und Michendorf. Zwei Dörfer - so weit voneinander entfernt und auf einer Treppenstufe der Überraschung vereint.
Mittwoch, 23. Dezember 2015
Weihnachtspost
Heute kommt wie jeden Mittwoch keine Post. Der Mittwoch ist Fährenfrei auf der Hallig. Man ist und bleibt unter sich. Die Nächte sind stockdunkel. Weihnachten hin oder her. Das Paket aus Wülfrath lag gestern nachmittag auf meiner Treppe. Sein Inhalt wird heute fast ganz verputzt. Man soll freundlich sein zu Nachbarn und Handwerkern.
Dienstag, 22. Dezember 2015
Wetterumschwung
Kein Wunder. Nach dem Gucken kommt das Hören. Ich lag die ganze Nacht wach und lauschte dem Grollen über dem Dach. Auf Hanswarft hat der Wind eine andere Stimme. Ich bin hier am Landsende näher dran. Oder ungeschützter. Ausgesetzter. In sternenklaren Nächten gibt es mehr Sterne. Und in winddurchtobten mehr Lärm. Finde immer noch keine Wörter. Muss ein Alphabet der Geräusche anlegen. Aber wo?
Montag, 21. Dezember 2015
Goldener Sand
Der kleine Japsand bei Tageslicht. Ich bin den ganzen Vormittag nur mit Gucken beschäftigt. Kann dem Farbspiel nicht folgen. Nicht mit Wörtern. Nicht mit Gedanken. Nicht mit Schritten.
Sonntag, 20. Dezember 2015
Samstag, 19. Dezember 2015
Kartiertes Grau
Spaziergang zum kleinen Japsand. Die höchste natürliche Erhebung weit und breit. Bei Niedrigwasser gut zu Fuß (mit Gummistiefeln) zu erklimmen. Ich sehe sie von meinem Schreibtisch aus. Bei jedem Wetter leuchtet der Sand. Aus der Nähe betrachtet sind es Muschelreste, zermalmt von Wind und Wasser.
Freitag, 18. Dezember 2015
Der letzte Schultag
Endlich Sonne. Und die ganze Familie in der Schule. Und ein Gruppenfoto. Und ein Wasserfarbenbild. Und eine selbstgemachte Halskette. Was Ferien sind, kann ich den Gästen nicht erklären. Und nicht, was Weihnachten. Bei dem Wetter! Die Älteste kann bis zehn zählen. Nach Neujahr fangen wir zu schreiben an
Donnerstag, 17. Dezember 2015
Schulalltag
Fast ist es schon Gewohnheit. Heute kommt auch der Kleinste mit. Und Mutter. Wir werden hin und zurück gefahren. Vater ist auf dem Festland. Donnerstag. Da fahren alle Halligbewohner zum Einkaufen. Zum Zahnarzt. Zum Frisör. Auf die Hallig kommt ein Telecommitarbeiter. Aber mein Wlan richtet er nicht ein. Dies sei nicht sein Auftrag, erklärt er mir.
Mittwoch, 16. Dezember 2015
Schulweg
Wir werden zur Schule gefahren. Der Nebel hängt immer noch tief. Wir füttern die kindergarteneigenen Hühner und trocknen Tränen. Auf dem Heimweg hocken alle drei im Bollerwagen.
Dienstag, 15. Dezember 2015
Dienstag, der erste Kindergartentag
Ich bin nur Begleiterin. Ersatz. Keiner Sprache mächtig. Keine Mama. Kein Papa. Ich bringe am Morgen den Müll an die Warftkante. Ich lerne Wörter und sehe die Hand nicht vor dem Munde, so dick ist der Nebel. Die Hallig endet zwischen Grün und Grau. Es ist ungerecht, dass die beiden älteren Töchter zusammen in die Schule gehen und die dritte allein in den Kindergarten muss. Obwohl die beiden Institutionen auf Hooge nur durch eine Wand getrennt sind, fließen Tränen.
Montag, 14. Dezember 2015
Montag, der erste Schultag
Ich gehe mit Hatr und Ilah für eine Stunde in die Schule. Sie sind bunt angezogen und fröhlich. Der Weg ist farblos. Die Warft versinkt im Nebel. Auf dem Rückweg fallen die ersten deutschen Wörter. Wie Regentropfen. Schule. Apfel. Haus.
Sonntag, 13. Dezember 2015
Sonntag, der Dreizehnte
Dritter Advent mit Grünkohl. Draußen so etwas wie Frühling. Drinnen noch keine Normalität. Ich entferne maritimes Blau aus meiner Wohnung und ersetze es mit Küchenschürzenrot.
Samstag, 12. Dezember 2015
Kein aufbrechen
Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit wache ich auf mit dem Gefühl, nicht aufstehen und weggehen zu müssen. Es ist noch immer dunkel. Aber der Sturm hat sich etwas gelegt. Ich muss nichts mehr erledigen auf dem Festland, nichts mehr einpacken, nichts mehr aufräumen. Ich bin noch nicht angekommen. Aber ich weiss schon, dass ich bleiben kann.
Freitag, 11. Dezember 2015
Kein landunter
Das erwartete landunter bleibt aus. Es kann nicht sein, dass jedesmal, kaum habe ich den Fuß auf die Hallig gesetzt, der Notstand beginnt.
Ich liege im Bett und versuche, die Geräusche zuzuordnen. Das Brausen in der Nacht, das nach eigenen Gesetzen anschwillt. Eigenen Bedürfnissen folgt. Ohne Noten spielt. Zu sehen ist nichts. Zu hören viel. Das Wundern endet hier nie. Die Ungleichheit: Meine Neugier braucht hohle Häuser, der Wind aber nie eine Verschnaufpause.
Ich liege im Bett und versuche, die Geräusche zuzuordnen. Das Brausen in der Nacht, das nach eigenen Gesetzen anschwillt. Eigenen Bedürfnissen folgt. Ohne Noten spielt. Zu sehen ist nichts. Zu hören viel. Das Wundern endet hier nie. Die Ungleichheit: Meine Neugier braucht hohle Häuser, der Wind aber nie eine Verschnaufpause.
Donnerstag, 10. Dezember 2015
timein
Time-in - inside the Hallig - beginnt mit Wind. Eine stürmische Überfahrt. Mit Kaffee im Bauch der Fähre. Oben auf Deck würde ich bis auf die Haus nass. Die Hallig erwartet mich mit allen Farben des Winters. Abtönungen von Grau. Schattierungen von Halbgrau, Ganzgrau, Hellgrau. Dunkelgrau, Regengrau, Sonnengrau. Auch die Graugänse sind geblieben.
Freitag, 4. Dezember 2015
timeout
Time out of Hallig beginnt mit dem Besuch beim Meldorfer Hausarzt und endet in einem halbleeren Flugzeug. Ich werde umgesetzt, lerne das Wort TRIM. Gewichtsverteilung über den Wolken. Und lande im Ausland. So gesehen oder geschrieben - im Ausland landen - kann die Fremde tatsächlich nur durch die Luft erreicht werden.
Donnerstag, 3. Dezember 2015
Erster Donnerstag
Schon wieder Aufbruch. Am Anleger die Spuren des letzten landunters. Es ist bereits Nacht, als die Fähre in Schlüttsiel anlegt.
Mittwoch, 2. Dezember 2015
Erster Mittwoch
"sabr" heißt Geduld und "ma" Monat. Wenn ich das richtig herausschreibe aus dem Persischwörterbuch. Zwei Schlüsselwörter für Gäste aus Afghanistan auf Hooge, die erstmal erschrecken über die begrenzte Welt.
Dienstag, 1. Dezember 2015
Am Tag danach ...
... geht das Wasser wieder. Fast so schnell wie es gekommen ist.Und Landsende, das richtige, ist wieder in Sicht.
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