Ich mag vieles an zusammengesetzten Substantiven. Unter anderem die Konsonantenhäufungen. Das so vollkommen Überraschende fürs Auge (nur für das Auge!), wenn „nn“ und „ss“ und „tt“ in einem einzigen Wort zusammen auftreten. Aber ich mag auch diese rasant-melodiöse Beschleunigung, die vergleichbar ist nur mit der Fahrt einer Fernsehkamera, die alles unternimmt, um den aktuellen Weitenrekordhalter im Skifliegen – nicht zu verwechseln mit dem aktuellen Skiflugweltmeister – den Norweger Bjørn Einar Romøren während seines Flugs von der Heini-Klopfer-Skisprungschanze für den Zuschauer zu Hause in der warmen Stube nicht aus dem Bild verschwinden zu lassen.
Also sind letztlich meine Lieblingswörter, die Komposita hauptsächlich fürs Auge (nur für das Auge!) da.
Draußen ist herrlicher Frühling und ich bin mit meinen Wörtern, den Konsonantenhäufungen und einem vivacissimo con fuoco im Stillachtaler Schnee gelandet. Schlitten, Schanzen und Schlierenzauer. Wir hatten den ganzen Winter keinen Schnee. Es war unser erster Winter am Wattenmeer. Wir haben nie in Bayern gelebt. Das Birgsautal kenne ich nicht einmal vom Hörensagen. In der Garage hängt eine Schneeschaufel. Ordentlich und unauffällig neben Gartengeräten wie Harke, Besen, Obstpflücker, Dreizinkgrubber oder Jätekralle, einer Astschere, einer Baumsäge, einer Heckenschere, einer Rasenkantenschere und vielem anderem. Die Vorbesitzer sagten, sie könnten das alles in ihrem zukünftigen Leben nicht mehr gebrauchen. Vieles davon haben wir in unserem bisherigen Leben noch nie gesehen. Von einigen Geräten wussten wir gar nicht, dass und wofür sie existieren. Die Schneeschaufel mussten wir den ganzen Winter über nicht ein einziges Mal in die Hand nehmen. Das erste aber, was wir uns selbst anschafften, noch bevor das Laub von den Bäumen fiel und bevor der schnee- und frostlose Winter vor der Tür stand, bevor wir überhaupt in das Haus eingezogen waren, war ein Dachrinnenreiniger. W. sagte, den könnte man bestimmt gut gebrauchen und trug ihn in die Wohnung am anderen Ende der Stadt. Der Vermieter staunte nicht schlecht, was es heutzutage alles zu kaufen gäbe. Er würde zweimal jährlich auf eine Leiter steigen, sagte er, und mit der Hand durch die Dachrinne fahren.
Draußen hängt ein wolkenloser Himmel. Und der Wind rüttelt immer noch unerbittlich an der Welt. Es ist nichts, gar nichts zu sehen, was er über unser Dach von hier nach da zu schieben hätte. Er transportiert nur leere Luft. Der simple Dachrinnenboy mit Teleskopstiel erwies sich schnell als untauglich für unsere Dachrinnen. Oder unser Verstand erwies sich als untauglich für dieses und anderes Gerät. Die Ziegel auf unserem Dach liegen so, dass sie die himmelwärts offene Regenrinne fast vollständig bedecken. Ein Laubfangsystem, auch das gibt es, könnte bei uns nirgends sinnvoll angebracht werden. In der Rinne liegt auch kein Laub, wie ich beim ersten Augenschein erkenne. Die Rinne ist bis oben hin zugewachsen.
Ich brauche einen Unkrautstecher und eine Blumenkelle, rufe ich W. zu. Und eine schmale Künstlerhand. Dann steige ich wieder auf die Leiter. W. gibt unten Acht, dass ich nicht herunterfalle. Ich schaufle Humus aus der Regenrinne. Die Reste klaube ich von Hand unter den Ziegeln hervor. Dabei schürfe ich mir die Haut ab auf dem Handrücken. Die dünne Haus über den Mittelhandknochen platzt. Die durchsichtige Haut über den oberen Fingergliedern blutet. An beiden Händen. Ich muss zu beiden Seiten der Leiter in der Dachrinne graben. Das regt die Hirntätigkeit an. Dann verstellen wir die Leiter. Und die Erde, die ich aus der Regenrinne geholt habe, schütte ich auf mein Gemüsebeet.
Als nächstes kaufen wir uns eine Regenwassertonne. Damit bekommen wir immerhin ein „ss“ und ein „nn“ vor die Augen. Denn jetzt kann das Wasser wieder fließen. Wo wir allerdings den Schlitten des Dachrinnenreinigungsgerätes hätten einlegen sollen, bleibt ein Rätsel. Ebenso, wo wir die Zugseile hätten einfädeln müssen, wo die Rollenhalter befestigen und wo den Zeitaufwand hernehmen.
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