Um 17 Uhr 50 ruft mich W. aus meinem Zimmer und meinen Gedanken unter dem Dach. Ich solle sofort herunterkommen und Schuhe anziehen. Was denn los sei, will ich wissen. Für Erklärungen sei jetzt keine Zeit, höre ich.
Um 17 Uhr 53 stehen wir im feuchten Gras vor dem Haus. Neben der noch völlig blattlosen Edelkastanie. Und starren in den Himmel. Gleich würde die ISS über unsere Köpfe sausen, erklärt nun W. Ziemlich genau von West nach Ost. Ach! Sage ich. Mt offenem Mund. Die Nachbarn kommen von ihren Sonntagsausflügen zurück und stellen die Autos in die Garagen. Nur wir zwei starren in den Himmel.
Da ist sie! W. ist vollkommen außer sich.
Und tatsächlich bewegt sich ein leuchtender Punkt, schneller und heller als ein Flugzeug, geradewegs auf unsere Dächer zu. Im Weltraum. In 115 Kilometern Höhe. Ganz deutlich zu sehen. Fliegt ungerührt über unsere Häuser hinweg und entfernt sich Richtung Nindorf. Der Himmel ist im Osten trüb, das Abendrot im Westen verglüht. Die Sonne ist schon vor einer halben Stunde untergegangen. Dennoch überwindet sie noch den Erdschatten und strahlt die Raumstation extra für uns zwei auf der Erde Gebliebenen an. Etwa drei Minuten lang starren wir ungläubig in den Himmel. Bis der Nacken weh tut. Und das seltsame Lichtgefährt irgendwo im trüben Grau erlischt.
Was für ein Tempo! Sage ich anerkennend. Und schließe den Mund.
W. geht in die Küche. Er muss sich beeilen, damit ich etwas zu essen bekomme.
Um 19 Uhr 29 kommt sie noch einmal, leuchtet noch immer am nun rabenschwarzen Himmel. Ihr Kurs ist leicht verändert, das Tempo nicht. Sie rast nach Südsüdwest und verschwindet nach nur zwei Minuten ungefähr über unserem Schlafzimmer im Dunkel der Nacht.
Dazwischen, zwischen diesen beiden Auftritten der Internationalen Raumstation über Meldorf, hat um 18 Uhr 17 die Atlantis sie nach zweitägiger Verfolgungsjagd erreicht. Beim Andockmanöver führt das Shuttle bei einer Geschwindigkeit von 28'160 Kilometern pro Stunde im Weltall einen Rückwärtssalto unter der ISS durch, so dass Bilder gemacht und zur Raumfahrtbehörde Nasa nach Houston geschickt werden können.
Diesen Rückwärtssalto erkennen wir leider von bloßem Auge nicht. Auch nicht, wie um 20 Uhr 40 die siebenköpfige Besatzung der Atlantis durch die geöffneten Luken zwischen beiden Raumflugkörpern in die ISS hineinschwebt. Und nicht, ob der 56-jährige deutsche Astronaut, Hans im Glück, eingeplant für Stromverkabelungen und Klempnerarbeiten bei der Montage des europäischen Forschungslabors „Columbus“, grün ist im Gesicht oder nicht.
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