Bei uns auf dem Land ist es still. Zur Zeit sind nur die Austernfischer laut und auffällig. Sie brüten. Und ziehen kreischend über das Haferfeld unten an der Bürgerweide, wenn Kolkraben sich in die Nähe ihrer Nester wagen. Austernfischer sind Bodenbrüter. Und auf dem Haferfeld standen im Winter Pferdeherden. Von den Austernfischer hingegen heißt es, seien im Dezember fünfmal so viele da wie jetzt. Dann halten sie angeblich den Schnabel und fallen deshalb nicht auf.
Nur die Vögel machen Lärm bei uns auf dem Land. Die Amseln vertreiben die Elstern. Die Meisen vertreiben die Finken. Die Ringeltauben hocken auf den Dächern. Im Ahorn sitzt eine Waldohreule und spitzt ihre Federohren, wenn wir zu ihr hochgucken.
Es ist still hier. Nur die Vögel lärmen draußen. W. ist an der Hochschule. Ich bin allein zu Hause. Ich sitze an meinem Schreibtisch unter dem Dach und denke über Schuhe nach.
Plötzlich höre ich Geräusche im Wohnzimmer. Klirren. Schlagen. Etwas fällt um. Glas splittert. Es ist heller Morgen. Ich gehe hinunter. Die männliche Amsel, die mir draußen im Garten immer auf den Fersen folgt, fliegt aufgeregt durch das Wohnzimmer, kracht gegen die Fensterscheibe, rutscht auf das Fensterbrett hinunter, landet zwischen diversen an der Ostsee eingesammelten runden Steinen. Stolpert, wirft Kerzenständer um, versteckt sich hinter den Keramikelefanten. Sie ist in Panik, ich sehe es. Sie hat Durchfall. Ich rede auf sie ein, aber das erschreckt sie nur noch mehr. Ich räume das Fensterbrett ab, fluche insgeheim über den Vogeldreck, versuche ihr aber meinen Ärger nicht zu zeigen. Ich schließe die Türen zu den Innenräumen des Hauses. Weder auf meinem Schreibtisch noch in der Küche brauche ich diese dünne Kacke. Dann reiße ich die zweite Tür zum Garten weit auf, weise ihr den Weg. Sie hockt zitternd auf einer Stuhllehne aus Metall. Und scheißt nun ununterbrochen. Seelenruhig. Wo immer sie sitzt. Auf den Ledersessel. Auf den Perserteppich. Auf das Parkett. Auf die ungeöffnete Post von vorgestern. Sie flattert entsetzt in eine Zimmerecke, nimmt Anlauf und knallt wieder mit dem Kopf gegen eine durchsichtige Wand. Ich rücke Stühle zur Seite, stelle Pflanzen aus dem Weg. Die männliche Amsel, die mir sonst immer hüpfend durch den Garten folgt und frohen Mutes überall dort, wo ich Hand angelegt habe, Würmer aus dem Boden rupft, ist gerade dabei zu sterben vor Schreck. Ich lasse sie mit dieser letzten Aufgabe allein. Ich gehe in den Garten und hänge Wäsche in den Wind.
Es ist still. Die männliche Amsel ist nirgends mehr zu sehen. Weder draußen noch drinnen. Es ist totenstill. Draußen und drinnen. Ich schaue in alle Ecken. Hinter das Klavier, in jedes Bücherregal, unter den Notenständer, auf den Telefontisch, in das Weinregal. Überall noch nicht ganz getrockneter Vogeldreck. Die Schuhe kann ich für heute vergessen.
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