Sonntag, 11. September 2016

Gerädert

Ich laufe so um die Hallig, dass ich im Westen schwimmen kann. Alles ist Tidenabhängig. Nur die Gottesdienstzeiten nicht. Wenn von der Empore Ungestimmtes erschallt, kann ich nicht beten. Die Ringelgänse bevölkern bereits in Scharen wieder die Fennen. Schüchtern sind die nicht und bescheiden auch nicht. Sie schnattern wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Den jungen wie den alten. Die Jungen erkennt man an der hellbraunen Halskrause. Die Alten an der schneeweißen. Mir steckt die üble Nachrede wie ein Dolch im Herz. Und eine falsche Bewegung zwickt im Kreuz. "Ab durch die Mitte" kommt - wer hätte das gedacht - aus der Theatersprache. Es meint den kürzesten Weg, von der Bühne zu verschwinden. Zu gehen. Der Abgang eines Schauspielers, einer Rolle, einer Figur. Wer oder was für den Fortgang der Geschichte nicht mehr benötigt wird, muss so schnell wie möglich aus dem erzählten Kosmos eliminiert werden. Das ist auf der Bühne nicht anders als im Roman. Noch laufe ich rund herum, auf dem Deich um die ganze Hallig. Heute vom Landsende aus Richtung Norden, also gegen den Uhrzeigersinn. Genau getaktet mit jedem Schritt. So, dass die Flut, wenn ich im äußersten Westen angekommen bin, vollständig aufgelaufen ist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen