Donnerstag, 25. März 2010

Treibsandteppich

Ich fahre an die Meldorfer Bucht. Zum ersten Mal nach dem langen Winter. Keine Menschenseele weit und breit. Keine Schafe. Es ist noch fast kein Gras gewachsen auf dem Deich. Die Osterlämmer guckten mir im alten Hafen auf wackligen Beinen nach. Kein Wasser. Kein Segelschiff im Segelhafen. Nur eine röhrende Plattform. Saugt den Schlick ab und pumpt ihn rabenschwarz auf die andere Seite. In die Bucht.
Ich fahre bis zu den Stufen, die an der letztjährigen und diesjährigen Badestelle ins Watt führen. Das Geländer wird erst montiert, wenn die Saison eröffnet ist. Trotz Winterzeit ziehe ich Schuhe und Strümpfe aus. Kremple beide Hosenbeine hoch und meine Ärmel zurück. Bestücke mich mit einer Plastiktüte und einem leeren Schweizer-Bienenhonig-Glas und marschiere los. In der Zeitung wurde gewarnt vor Treibsandteppichen und Schlicklöchern. Die bildeten sich durch die riesigen Eisschollen, die sich im Winter über das Watt geschoben hatten. Treibsand ist eine heimtückische Mischung aus Sandkörnern und Wasser, die man nur zügig überqueren kann. Sobald man darauf anhält, sackt man sofort in die Tiefe.
Das Watt ist tatsächlich weich. Und warm. Weit gehe ich trotzdem nicht. Der Bericht über fünf Mitarbeiter der Schutzstation Wattenmeer sitzt auch mir in den Knochen. Eine Frau sank bis über die Hüfte ein, die anderen waren drei Meter von ihr entfernt. Sie konnten nicht zu ihr, sonst wären sie alle versunken. Sie waren gut ausgerüstet, zogen ihre Kollegin mit einem Seil heraus. Ich habe weder Begleiter noch eine Ausrüstung, schmiere meine Handgelenke ein, fülle das Honigglas und gehe zu den Steinstufen zurück. Meine Gelenke brauchen Medizin.

Mein Problem ist nun fehlendes Wasser. Ich habe nur Tee dabei. Und die Duschen sind noch nicht wieder installiert. Winterzeit am Strand. Ich laufe mit matschigen Füßen über den Deich, werfe die matschigen Arthrosehände in die Luft. Warte, bis der heilende Schlamm etwas antrocknet. Ziehe mit dreckigen Händen meine sauberen Strümpfe über die dreckigen Füße. Komme mit Sand zwischen den Fingern gegen den Wind an.

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