Freitag, 20. November 2009

Der Liestaler Crispin

Ohne allzuviel geschlafen zu haben, bin ich schon wieder unterwegs. Die orkanartigen Winde haben sich gelegt, das Flugzeug landete trotzdem mit Verspätung, die Temperaturen sind nach wie vor überdurchschnittlich hoch. Am Mittag stehe ich mit Koffer und im Wintermantel in Liestal an der Mühlegasse und betrachte verwundert den roten Sandsteincrispin an der Hausfassade. Er hält hier seinen Stiefel bestimmt schon länger in beiden Händen, als ich lebe.

Ich habe ihn nie gesehen. Nie erkannt. Nie beachtet. In all den Jahren nie, in denen ich in Liestal lebte, laufen lernte, lesen lernte, schreiben lernte, gucken lernte, denken lernte, fragen lernte. Nie in all den Jahren, in denen ich hier herumlief, mit Schuhen an den Füßen, Flausen im Kopf und Tränen im Haar, fragte ich, wer ist denn das und warum sieht er so römisch aus mit seinem Gewand und den langen Locken. Nie in all den Jahren sah ich ihn oder fragte mich, wozu der einen dritten Stiefel in seinen Händen hält, wo er doch an jedem Fuß bereits einen trägt.

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